Der Mann von vierzig Jahren by Jakob Wassermann


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Page 8

Stockend brachte Agathe ihr Anliegen vor und fragte, ob de Vriendts
nicht wisse, wohin sich Sylvester gewandt habe. De Vriendts zog die
Brauen hinauf und erwiderte, er wisse nichts von Sylvester, der seit
vier Tagen nicht mehr bei ihm gewesen sei. Er heftete einen
mi�trauischen Blick auf Agathe und fragte ein wenig lebhafter: �Ja, ihr
lieben Leute, wart ihr denn nicht gl�cklich miteinander?�

�Ich war der Meinung, da� wir gl�cklich seien,� antwortete Agathe leise,
�aber f�r das Gl�ck bin ich vielleicht doch nicht mehr jung genug. Mit
siebenunddrei�ig Jahren mu� eine Frau verzichten lernen, scheint mir.�

De Vriendts legte den Kopf zur�ck und mit gleichg�ltiger Miene schlo� er
die Augen.

�An wen k�nnte ich mich nur wenden?� fuhr Agathe ebenso leise fort. �Ich
will ja alles hinnehmen, ich will ja warten, aber einen Grund will ich
wissen.�

De Vriendts hob j�h den Kopf und sah b�se aus. �Wenn Sie den Weg nicht
scheuen und �bles Gerede nicht f�rchten, dann erkundigen Sie sich doch
bei Ursanner,� stie� er fast schadenfroh hervor.

�Hat er denn mit Ursanner verkehrt?� fragte Agathe verwundert.

�Nichts nat�rlicher, als da� einer mit dem Teufel anbindet, wenn er von
Gott verlassen ist,� versetzte de Vriendts h�hnisch.

Agathe versuchte einzulenken. �Sylvester war in fr�heren Jahren sehr
befreundet mit Achim Ursanner,� sagte sie sch�chtern.

�Das mag ja sein, jeder Verbrecher war einmal unschuldig, Ursanner
wahrscheinlich auch. Und damit ich's Ihnen nur offen gestehe: als man
mir hinterbrachte, da� Sylvester mit diesem Menschen zusammenkommt, habe
ich ihn gebeten, mein Haus zu meiden.�

Ein Fr�steln lief Agathe �ber den R�cken.

Das war der jahrtausendalte, unvers�hnliche Geist der Kirche, der ihrem
Herzen fremd blieb. Sie beschlo�, zu Ursanner zu gehen.

Sie schien zu vergessen wo sie war. Vor den Fenstern lag ein dicker
Nebel, der das Zimmer mehr und mehr verdunkelte. Die Schachfiguren
verloren ihre Farbe und sahen aus wie eine Schar von Gnomen. Es war ein
wundersch�nes Elfenbeinspiel; die T�rme hatten goldene F�hnchen auf
ihren Basteien.

Unten auf der Stra�e zogen Soldaten mit dumpfem Gleichschritt vor�ber.
De Vriendts hatte Agathes Schweigen geschont, weil er ihr Zeit geben
wollte, sich zu sammeln. Nun, da er seiner Christen- und Priesterpflicht
gen�gt zu haben glaubte, ver�nderte sich sein Wesen v�llig. �Sie leben
doch, Frau Agathe, Sie leben,� sagte er, und sein Genie�ermund, der alle
Leckerbissen des Daseins gekostet hatte, w�lbte sich gierig-schlaff,
�ihr Lebenden wi�t nicht, was das hei�t. Ich, sehen Sie, ich habe nur
noch einen Wunsch, ich m�chte noch einmal singen h�ren. Nicht von einem
Mann, M�nner d�rften eigentlich nicht singen. Auch nicht von einer Frau,
Frauen sind schon zu erfahren, das himmlische Instrument in ihrer Kehle
ist verstimmt. Was ich meine, ist der Gesang vor den Toren des Lebens,
der von S�nde und Tod nichts wei�, der die Wollust heiligt und das Blut
s��er macht. Wenn ich das noch einmal h�ren kann, will ich meine letzte
Flasche Bocksbeutel entkorken, den �ltesten, der so jung und sanft wird
mit der Zeit und will ihn schl�rfen, bis sich der kleine Rausch in den
gro�en Tod verwandelt hat.� Er griff nach einer Zeitung, die neben ihm
lag. �Haben Sie von Gabriele Tannhauser gelesen?�

�Von der S�ngerin?�

�Schon nennt man sie die G�ttliche. Alle Journale sind voll von ihr.
Morgen singt sie in Karlsruhe. Ich werde hinfahren und wenn man mir
vorher die Beine amputiert.�

Agathe hatte ein seltsames Gef�hl von Scham. Der ekstatische, ja fast
irre Blick aus den bla�gr�nen Augen des Greises �ngstigte sie. De
Vriendts beleckte mit der Zunge seine Lippen, faltete die H�nde und fuhr
mit heiserer Stimme fort: �Haben Sie nie die Erfahrung gemacht, da� man
eine Bl�te mit anderen Augen ansieht, als mit blo� neugierigen oder
bewundernden, wenn man sie noch in der Knospe gesehen hat? Es mag jetzt
vier Jahre her sein, im Herbst, da fuhr ich von Rom nach Deutschland und
mu�te in Augsburg �bernachten. Am Abend ging ich durch die Stra�en,
traurig und verstimmt, da komm' ich ans Theater und lese auf dem Zettel,
da� 'Lucia di Lammermoor' aufgef�hrt wird. Die Vorstellung hat schon
angefangen, ich kaufe mir ein Billett, und mit geringer Erwartung geh'
ich hinein. Das Theater �hnelt einem Stall, �berall riecht es nach
�llampen, kaum hundert Personen sitzen schl�frig herum, und das
Orchester macht einen L�rm, da� mir die Ohren weh tun. Nicht viel anders
sieht es auf der B�hne aus, Akteure und Aktricen sind mit schmierigen
Lappen bekleidet und singen zum Steinerweichen. Auf einmal erscheint da
ein Pers�nchen und erhebt seine Stimme und mir ist, als ob Rom ein b�ser
Traum sei und Florenz eine H�lle und Deutschland ein Grab. Mir ist, als
juble der s��este von allen Engeln �ber die Auferstehung der Toten, mein
Herz wird klein und gro�, meine Augen f�llen sich mit Wasser, die H�nde
zittern mir, und als der Vorhang f�llt, wanke ich hinaus und lese auf
dem Zettel: Gabriele Tannhauser. Ich habe sie dann gesehen. Ein
j�mmerlicher Bursche, den sie Direktor nannten, hat mich hinter die
Kulissen gef�hrt. Sie sa� auf einem Pappendeckelfelsen und blickte mich
mit gro�en, grauen Augen fremd an. Sie konnte nicht �lter als achtzehn
Jahre sein. Ich nahm ihre Hand und k��te sie und sagte: sp�ter werden
K�nige dasselbe tun. Sie erhob sich und ihre Augen leuchteten. Es war
etwas Ersch�tterndes in diesem zuversichtlichen und zugleich dem�tigen
Glanz. Ich ging weg wie ein neuer Mensch, und nicht zwei Jahre hat es
gedauert, da klang dieser Name aus der Dunkelheit in die begl�ckte Welt.
Nun m�chte ich sie noch einmal h�ren.�

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Books | Photos | Paul Mutton | Tue 29th Apr 2025, 16:41