Der Mann von vierzig Jahren by Jakob Wassermann


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Page 33

Ursanner schaute im Zimmer umher. Er suchte den alten Knecht; als er die
T�r �ffnete, um zu rufen, trat Schermer auf die Schwelle. �Packen Sie
die Kleider und die Spielsachen der Buben,� redete ihn Ursanner an, �in
einer halben Stunde m�ssen sie fertig sein.� Darauf kehrte er in den Hof
zur�ck, gebot, da� man die Hunde an die Kette lege und riegelte selbst
das Tor auf. Der Advokat und seine Begleiter traten ein. Jener war fein
genug, das ver�nderte Benehmen Ursanners mit einer stummen Verbeugung zu
quittieren. Auf der Chaussee hatten sich inzwischen eine Menge
Dorfbewohner versammelt, M�nner und Weiber, und stierten mit b�sen,
h�mischen Gesichtern empor. Ein alter Bauer hob drohend beide F�uste und
ein kahlk�pfiger Mensch, der an Kr�cken ging, stie� mit kr�hender Stimme
Fl�che und Schimpfreden aus. Ursanner sah und h�rte es, sah und h�rte es
auch nicht. Wie von einem elektrischen Schlag ber�hrt, fuhr er zusammen,
als ihm Schermer mitteilte, da� die Kinder bereit seien. Sie kamen; sie
reichten ihm die H�nde; sie stellten sich auf die Zehen, um seine Wange
zu k�ssen; ihre Augen gl�nzten und ihre Bewegungen waren voll
Lebhaftigkeit, -- Ursanner sah es und sah es auch nicht. Der Advokat
redete etwas, der Funktion�r zog den Hut, der Gendarm salutierte, dann
waren sie alle verschwunden, Schermer trug zwei B�ndel hinterdrein, man
sah ihn noch lange auf der Landstra�e wanken; der Kr�ppel unten
kreischte hysterisch, das Doggenweibchen fing an zu heulen, aber Achim
Ursanner stand wie zu Stein geworden. Den Knechten war er unheimlich.
Sie flohen seinen Anblick.

Am andern Morgen wurde ihm hinterbracht, da� es den Bauern gelungen war,
die Hunde zu vergiften. Er war abermals die ganze Nacht hindurch auf dem
rundgebogenen Sofa liegen geblieben. Eine Flasche Wasser, Wurst, K�se,
Brot und Fr�chte standen neben ihm auf einem Stuhl. In der get�nchten
Stubendecke hatten die Spr�nge und Risse auffallend interessante Figuren
gebildet. Er mu�te sie best�ndig anstarren. Er wu�te nicht, wieviel Zeit
vergangen war, als in einer Nacht eine Weiberstimme durch das Haus
gellte: �Es brennt, Herr, es brennt!� Die Magd war es, die Ursanner
weckte. Die beiden Scheunen und das Waschhaus waren bereits von den
Flammen ergriffen. Als Ursanner ins Freie trat, loderte auch das Dach
des Wohngeb�udes wie Reisig. Die Landschaft lag weithin in roter Glut.
Die Kirchenglocken l�uteten, das Dorf erwachte und geriet in Eifer, die
Knechte hatten sich schon ans L�schen gemacht, vermochten aber dem
Element nicht Einhalt zu tun; auch war zu wenig Wasser vorhanden. Die
Magd, die, merkw�rdig genug, ihr Sonntagskleid am Leibe hatte, kniete
vor dem Zaun und betete. Gegen Morgen r�ckten die L�schmannschaften aus
W�rzburg an; die Flammen z�ngelten aber nur noch in vier Ruinen.

Ursanner begab sich in die Stadt und mietete sich in einem Gasthaus in
der N�he des Domes ein. In dem schmutzigen kleinen Zimmer schrieb er
folgenden Brief an Agathe.

�Es ist alles vor�ber. Ihnen die Vorg�nge in ihrer Reihe zu berichten,
dazu fehlt es mir an Mut, an Klarheit und an Worten. Die Kinder sind
weg, Haus und Hof sind einge�schert, ich selbst bin auf dem Weg nach
Frankreich. Ich lasse in der Heimat nichts zur�ck, was mir die Trennung
erschwert. Ich l�sche das Ged�chtnis an ein Land aus, das meine Kr�fte
gemordet, meine F�higkeiten erstickt, meine Hingebung mit Verachtung
bezahlt und meinem Gem�t die unheilbare Krankheit des Menschenhasses
eingeimpft hat. Ich gehe nach Frankreich, um dort in den Kriegsdienst zu
treten. Die Franzosen schlagen sich fortw�hrend in Mexiko, in Algier und
in Asien. Der Marschall Montauban, bekannt oder ber�chtigt durch seine
Expedition in China, wei� von mir, denn er war ein Jugendfreund meiner
Mutter. Leben Sie wohl, teure Frau. Ihr Bild raubt meinen letzten
Erlebnissen etwas von ihrer w�rgenden Schmach. Schenken Sie dem armen
Fl�chtling bisweilen einen freundlichen Gedanken. Achim Ursanner.�

* * * * *

Agathe hatte die Nachricht von dem Brand in Randersacker durch die
W�rzburger Botenfrau erhalten, die zweimal w�chentlich nach Erfft kam.
Die Zeitung brachte nur eine fl�chtige Notiz. Es wurde allgemein
angenommen, da� das Feuer gelegt worden sei, und nun erhoben sich
Stimmen der Bev�lkerung, die f�r Ursanner Partei ergriffen und dem
Kesseltreiben gegen den ungl�cklichen Mann steuern wollten. Eben hatte
sich Agathe entschlossen, zu Ursanner zu fahren, als sie seinen Brief
bekam. W�hrend des Lesens konnte sie sich der Tr�nen nicht erwehren. Da
der Umschlag den W�rzburger Poststempel trug, dr�ngte es sie in die
Stadt, aber bei weiterem Bedenken sah sie das Fruchtlose eines solchen
Schrittes ein, da sie nicht wu�te, wo er wohnte und er wahrscheinlich
schon abgereist war. Im Lauf der Tage begrub sie ihre mitf�hlende Trauer
still in ihrer Brust, und eigene Not brachte die des Freundes in
Vergessenheit.

Daran war vor allem Silvia schuld. Das Kind verlor seinen Frohsinn nach
und nach g�nzlich. Es liebte seine ehemaligen Spiele nicht mehr, nur
selten h�rte man sein unbefangenes Geplauder, und das immer blasser
werdende Gesichtchen gab der Mutter Anla� zur Sorge. Am meisten betr�bte
es Agathe, da� das M�dchen immer j�h die Augen senkte, wenn es ihrer
ansichtig wurde, und Agathe gewann allm�hlich den Eindruck, da� ein
bestimmter Argwohn in dem Kind wuchere. Mit Schrecken nahm sie wahr, da�
Silvia ihr kein Vertrauen mehr entgegenbrachte, und um so beklommener
war ihre Lage, als sie es bei sich f�r unm�glich erkl�rte, dem
achtj�hrigen Gesch�pf triftige und verst�ndliche Aufschl�sse zu geben.
Sie ahnte ja, was das forschende und gequ�lte Wesen Silvias zu bedeuten
hatte, und obwohl sie sich sagte, da� dieser unentwickelten Seele die
volle Empfindungskraft und der entschiedene Wille eines erwachsenen
Weibes eigen sei, verbot ihr der verwunderte Hochmut und jene Scham,
welche gewisse M�tter bei fr�hen Pers�nlichkeits�u�erungen ihrer Kinder
sp�ren, dem armen kleinen Herzen in seiner Bedr�ngnis beizustehen.

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Books | Photos | Paul Mutton | Mon 1st Dec 2025, 9:37