Der Mann von vierzig Jahren by Jakob Wassermann


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Page 3

Es war um eine Stunde zu sp�t.

* * * * *

Agathe stammte aus einer angesehenen Adelsfamilie, die im Nassauischen
beg�tert war. Ihr Vater hatte lange Zeit in Frankreich gelebt, hatte
dann in Deutschland t�tigen Anteil an der Revolution genommen und war in
den M�rztagen durch einen ungl�cklichen Schu� get�tet worden. Sie war
die j�ngste unter sieben Schwestern, die man wegen ihrer Sch�nheit die
Plejaden nannte. Ihren Gatten hatte sie bei einem Hofball in Darmstadt
kennen gelernt, Sylvester stand damals im achtundzwanzigsten Lebensjahr.
Er hatte nicht die Absicht, zu heiraten. Er hatte ein Vorurteil gegen
die Ehe, das ihm berechtigt schien, weil es durch vielfache Erfahrung
und mancherlei Einblick in das Eheleben anderer Menschen erzeugt und
erh�rtet worden war. Er wollte seine Freiheit nicht verlieren; er hatte
Angst davor, an ein Haus, an eine Stube, an einen Tisch gefesselt zu
werden; er w�nschte nicht, seine Selbstbestimmung einzub��en; er trug
kein Verlangen nach Familienfrieden und ungest�rter Idylle, er war zu
sehr an die Aufregungen des Ungef�hrs, an die Zuf�lle und
Abenteuerlichkeiten des Umherschweifens gew�hnt. Er hatte viel von der
Welt gesehen, aber doch nicht genug, die Lockrufe in ihm waren noch
nicht verstummt. Dies alles sagte er Agathe. Er sagte ihr, da� er nicht
f�r sich b�rgen k�nne.

Allein Agathe wu�te ihn zu �berzeugen, da� eine gemeinschaftliche
Existenz mit ihr zu seinem Gl�ck ausschlagen werde, und je l�nger er sie
kannte, je mehr war er geneigt, ihr zu glauben. Er nahm eine Art von
Tatkraft in ihr wahr, die er noch an keinem menschlichen Wesen bemerkt
hatte. Es war die Tatkraft gewisser Pflanzen, die aus zartesten Anf�ngen
zu einer unwiderstehlichen Gewalt emporwachsen, mit der sie Abgr�nde
�berbr�cken und Felsen zerrei�en. Dieser nicht zu beirrende Wille machte
ihn zum Untertan Agathes, ohne da� er es wu�te. Er bewunderte sie, ohne
es zu wissen. Sie konnte ihn einfach rauben, denn der Widerstand, den er
ihrer Liebe entgegensetzte, hatte seine Quelle in einer sonderbaren
Furcht vor ihr, Furcht vor ihrer Entschlossenheit, vor ihrem Mut, ihrer
naiven Leidenschaft und dem st�rmischen Tempo, in dem sich ihr Geist und
ihr Herz bewegten, lauter Dinge, denen er sich nicht gewachsen f�hlte.
Er war nicht stark in Handlungen, nicht einmal in �berlegungen, nur
seine Eindr�cke waren von gro�er Tiefe und Unverge�lichkeit. Sie liebte
ihn mit dem ganzen Ungest�m ihrer Natur. Er lie� sich von ihr lieben,
und an diesem Punkt begann seine Schuld. Obwohl er ihre Liebe erwiderte,
gab er sie nicht freiwillig her, sondern er gew�hnte sich so daran,
sein Gef�hl erobern zu lassen, da� er v�llig passiv wurde und jeden
Zoll zu bezahlen vers�umte. Sie verlebten gl�ckliche und reine Tage,
aber Agathe bemerkte nicht, da� sie ihrem Mann bequem wurde. Sie schien
ihm zur Gef�hrtin auserlesen, ja er sah in ihr das Wunder einer
Gef�hrtin, aber mit der Zeit wurde ihm dies selbstverst�ndlich. Sie lie�
ihm nichts zu erraten �brig, sie enth�llte sich in jedem Augenblick, und
in jedem Augenblick ohne R�ckhalt und ohne Vorbehalt. W�re sie nicht so
reich erschaffen worden, in seiner N�he h�tte sie bald verarmen m�ssen,
denn alles was in ihm schenken und bauen konnte, wurde ihr gegen�ber
stumm und lustlos. Trotzdem war ihm ihre Gesellschaft unentbehrlich, die
Jahre gingen hin, die aufwachsende und zum Menschen werdende Silvia
kettete sie noch fester aneinander, bis eines Tages eine Unruhe in
Sylvester erwachte, �ber die er sich lange keine Rechenschaft geben
konnte.

An einem Morgen fing es an, als er in ihr Schlafzimmer trat. Agathe sa�
vor dem Spiegel und frisierte sich. Dieses Schauspiel habe ich schon
viele tausendmal gesehen, zuckte es Sylvester durch den Kopf. Agathe
begann von Wirtschaftssorgen zu sprechen, und er h�rte nicht den Sinn
ihrer Worte, sondern nur den Klang ihrer Stimme. Und irgend etwas in
dieser Stimme, sei es der bekannte Tonfall, sei es die bekannte Folge
der Worte, erbitterte ihn in einer h�chst ungerechten und sein eigenes
Gef�hl beleidigenden Weise. Er wartete, welche Bewegung sie machen w�rde
und riet im stillen, da� sie den Kopf an einer genau von ihm bestimmten
Stelle fassen und auf die linke Hand st�tzen w�rde. Es geschah so, und
seine Erbitterung verwandelte sich in Widerwillen. Er sah ihre auf den
St�hlen liegenden Kleider, die Schuhe, B�nder und W�schest�cke, und
jeder einzelne dieser Gegenst�nde vermehrte seinen unheimlichen Ha�. Die
Decke ihres Bettes war zur�ckgeschlagen, und der Geruch des
Frauenk�rpers, der dem Linnen zu entstr�men schien, erweckte keine
Begierde oder Z�rtlichkeit mehr in ihm.

Von jener Stunde an wuchsen Unlust und Unzufriedenheit best�ndig in
seinem Innern. Da� sie darunter litt, blieb ihm nicht verborgen, und er
freute sich dessen; ihm war, als m�sse er Rache an ihr �ben, ihm war,
als h�tte er durch Agathe seine Jugend verloren, als w�re sie die Diebin
seiner Illusionen und seiner Hoffnungen. Die zehn Jahre, die er an ihrer
Seite verbracht, erschienen ihm wie ebenso viele Jahre der Verbannung
und der Kerkerhaft. Eine schreckliche Angst vor dem Altwerden packte
ihn, und der Spiegel wurde ihm zum Zeugen der Zerst�rung. Der Anblick
der Furchen auf seiner Stirn und der Unebenheiten seiner Wangen
verfinsterte seinen Geist, und oft, wenn er �ber den Vernichter
gr�belte, der so t�ckisch unter der Epidermis w�hlte, �ber dies langsame
Hinschwinden und Niederbrennen, erfa�te ihn eine qu�lende, aber in ihrem
innersten Kern begl�ckende Sehnsucht, die er anfangs nicht zu bet�uben
versuchte.

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Books | Photos | Paul Mutton | Sun 2nd Feb 2025, 16:03